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Das Mädchen aus Oberschlesien
- Brigitte Hanisch -


Brigitte Hanisch - Das Mädchen aus Oberschlesien Brigitte Hanisch wurde 1934 in Schomberg/Oberschlesien geboren. Seit 1955 wohne sie in Baden-Württemberg. Jahrelang arbeitete sie als selbständige Handelsvertreterin auf Messen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Als Rentnerin erging es ihr wie vielen anderen: sie suchte einen neuen Lebensinhalt.

Als ihre Enkelkinder immer wieder fragten: „Oma, erzähl uns von dir, wie es früher war“, da entschied sie sich ein Buch über ihre Jugendjahre zu schreiben und gestaltete es auch selbst. Als die Nachfrage nach dem Buch immer größer wurde, ließ sie es bei einem Selbstverlag drucken. Jetzt möchte sie ihr Buch einer größeren Öffentlichkeit vorstellen.

Zur Zeit arbeite sie an einem zweiten Buch mit Kurzgeschichten. Einige Geschichten erschienen bereits in Zeitschriften. Weitere Einblicke in ihre Tätigkeiten erhalten Sie auf ihrer Homepage unter:  

   www.hanisch-illingen.de 

  brigitte.hanisch@s-direktnet.de 

 


 

Das Mädchen aus Oberschlesien
Kurzbeschreibung

 

Das kleine Mädchen Brigitte wächst wohlbehütet in einer Großfamilie im katholischen Oberschlesien auf. 1938 siedeln die Eltern mit Brigitte nach Kiel um. Dort wird auch ihre Schwester Eva-Maria geboren. 1939 beginnt der Krieg und Kiel wird besonders gebeutelt. Entsetzliche Jahre für das kleine Mädchen. Tag und Nacht Bombenangriffe. Hungersnot und immer die Angst um den Vater. Das Mädchen ist seelisch in einem so schlechten Zustand, dass die Eltern Brigitte nach Oberschlesien zur Schwester der Mutter schicken. Dort wird sie eingeschult und geht auch in Schomberg zur ersten heiligen Kommunion. In den nächsten Jahren pendelt sie hin und her. Kinderlandverschickung nach Bayern, Kriegserlebnisse in Kiel, danach wieder zurück nach Oberschlesien zur Erholung. Dort aber hat sie große Sehnsucht nach ihrer Schwester und den Eltern und fährt deshalb Weihnachten 1944 nach Kiel zurück. Das ist ihr Glück, denn im Januar 1945 marschieren die Russen in Beuthen ein.

Die Nachkriegsjahre und der Aufbau der jungen Bundesrepublik prägen Brigitte. Sie lernt einen Flüchtling aus Pommern kennen und lieben. Nach vielen Hindernissen heiratet sie ihn 1954. Ein Jahr später ziehen sie nach Stuttgart. Dort endet das Buch.

68 Privatfotos dokumentieren die damalige Zeit.

Kurzbeschreibung
und Cover

Das Mädchen aus Oberschlesien

ISBN 3-937312-18-8


Bestellmöglichkeiten und weitere Eizelheiten auf den Webseiten der Autorin oder zum Beispiel hier: amazon.de 


 

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Leseprobe - Das Mädchen Brigitte aus Oberschlesien

Das Leben in Kiel pendelte sich ein. Wir lernten alle Familien in dem Haus kennen, in dem wir jetzt wohnten. Spielkameraden hatte ich schnell gefunden, sei es im Haus oder auf der Straße. Kinder in meinem Alter hatten wir genug.
Im Parterre links wohnte die Familie Kischel mit ihren sechs Kindern. Sie zogen kurze Zeit später wieder aus, weil die Wohnung für so viele Personen zu klein war.
Daneben wohnte Familie Wetzel mit ihren Töchtern, Karin und Rita, die beide in meinem Alter waren. Im ersten Stock links wohnte eine jüdische Familie mit zwei Kindern. Benno-Dieter war so alt wie ich und hatte eine kleinere Schwester. Rechts daneben, Familie Matiebe mit zwei Töchtern und einem Sohn, die alle schon arbeiteten.
Im zweiten Stock links wohnten wir und nebenan Familie Westphal. Ihr Mann war Beamter und ihre Tochter war ebenfalls in einem Büro tätig. Sie taten immer so, als seien sie etwas besseres, was sie ja auch waren, denn alle anderen Familien waren Handwerkerfamilien. Lisa Theede, meine Freundin, wohnte über uns mit ihrem jüngeren Bruder. Daneben ein älteres Ehepaar mit einem erwachsenen Sohn, den wir fast nie sahen. Alle Familien in unserem Haus waren sehr verträglich. Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwelchen Streit im Haus gegeben hätte.

Wir Kinder spielten viel auf der Straße. Autos fuhren fast keine. Meine Eltern und auch andere Eltern schauten uns aus den geöffneten Fenstern, auf Kissen gelehnt, beim Spielen zu. Wir hatten viele Möglichkeiten die Straße für uns zu nutzen.

Am 1.September 1939 marschierten die deutschen Soldaten in Polen ein. Das war ein großes Ereignis. Alle sprachen sehr aufgeregt darüber. Ich verstand nicht genau was es bedeutete, aber so viel verstand ich doch, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handeln musste. Alles war von da an anders als vorher.
Mein Vater saß oft vor dem Radio und ich musste ganz leise sein, solange er die Nachrichten hörte. Er durfte das Radio nur leise einstellen und hielt sein Ohr an den Lautsprecher gepresst, damit er auch alles hörte, was gesprochen wurde.
Ich wunderte mich auch, warum meine Eltern plötzlich so oft polnisch miteinander sprachen. Es war kein richtiges polnisch, sondern „Wasserpolnisch!“
„So spricht man an der Grenze“, sagte meine Mutter zu mir. Sie wollten mich schützen, damit ich nicht Dinge aus Versehen ausplauderte, die nicht für andere Ohren bestimmt waren, wie sie mir später erklärten.
Es war für viele Menschen sehr gefährlich. Es gab Kinder, die ihre Eltern bei den Lehrern oder beim Blockwart angeschwärzt haben.
Viele Männer mussten plötzlich in den Krieg ziehen. Einige Väter meiner Freundinnen auch. Sie weinten, als sie mir davon erzählten und ich war dankbar, dass mein Vater nicht in den Krieg geschickt wurde. Er arbeitete bei den Deutschen-Werken und wurde dort dringend gebraucht. Ich betete jeden Abend und bedankte mich beim lieben Gott, dass Papa bei uns bleiben durfte.

Das erste Weihnachtsfest in Kiel feierten wir ganz alleine, ohne unsere große Verwandtschaft wie bisher. Es war auch so sehr feierlich. Wir zogen uns festlich an und warteten auf das Christkind. Mutti hatte ein kleines Glöckchen, mit dem sie klingelte, erst dann durften wir das Zimmer betreten. Evi bestaunte die vielen Lichter an dem Tannenbaum und ich die vielen Geschenke, die das Christkind gebracht hatte. Ich bekam ein Puppenhaus mit drei Räumen und einer Terrasse. In jedem Zimmer standen wunderschöne Möbel. An der rechten Seite jedes Zimmers befand sich ein Lichtschalter und ich konnte in jedem Raum das Licht anmachen. Es war herrlich, das hatte kein anderes Kind.

Meine Eltern hatten das Puppenhaus viele Wochen vor Weihnachten selbst gebaut. Es bestand aus vielen Einzelteilen und hat beiden viel Spaß gemacht, wie sie mir später erzählten. Ein Telefon, einen Brummkreisel und einen Kaufladen mit vielen Schubladen bekam ich ebenfalls. Aber das schönste Geschenk war ein Puppenwagen mit einer wunderschönen Puppe. Ich gab ihr den Namen, Goldmarie. So viel hatte ich noch nie erhalten.
Am ersten Feiertag durfte ich meine Freunde aus dem Haus einladen. Bennodieter, der Junge der unter uns wohnte, wollte zuerst nicht kommen, aber dann hat es ihm so gut bei uns gefallen, dass er den ganzen Tag blieb.
Kurz danach ist die Familie ausgezogen. Wir haben sie nie wieder gesehen. Die Wohnung war danach wie verhext. Keiner wohnte dort längere Zeit. Die Mieter kamen und gingen. Das war die einzige Wohnung im Haus, in die laufend andere Leute einzogen. Es war schon komisch.
Ich spielte viel mit meiner Puppe oder mit meinem Puppenhaus, aber immer so allein, dass war auf Dauer langweilig. Ich wollte schon immer einen Bruder oder eine Schwester haben, damit ich nicht so allein war. Jetzt hatte ich endlich eine Schwester, aber spielen konnte ich immer noch nicht mit ihr.
Als Evi ungefähr drei Monate alt war und friedlich in ihrem Bettchen schlief, stand ich davor und konnte mich nicht satt sehen an diesem kleinen, süßen Wurm. Sie hatte blonde Haare und sehr lange Wimpern. Hoffentlich kann sie bald laufen, damit sie bei mir einkaufen kann, dachte ich, als ich sie so betrachtete. Ich hatte so schöne Dinge in meinem Kaufladen.

Meine Mutter kam mit einem Korb voll Wäsche ins Zimmer und bat meinen Vater den Korb auf den Boden zu tragen. Wenn mein Vater zu Haus war, half er meiner Mutter immer bei schweren Arbeiten.
Mein Vater nahm den Korb mit der Wäsche und beide gingen fröhlich die Treppen hinauf zum Trockenboden um die Wäsche dort aufzuhängen. Ich hörte sie beide sprechen und lachen. Ich blieb bei meiner Schwester in der Nähe ihres Bettchens und passte auf sie auf, wie meine Mutter es mir aufgetragen hatte, bevor sie die Wohnung verließ.
Ich spielte eine Weile mit meiner Puppe, als ich Evi plötzlich so komisch röcheln hörte. Als ich in das Bett hinein sah, bemerkte ich, dass sich ihr Gesichtchen ganz blau verfärbte und sie mit den Händchen hin und her gestikulierte. Ich bekam einen gewaltigen Schreck, lief ins Treppenhaus und schrie einige Male ganz laut: „Mutti, Papa, kommt schnell, die Evi ist so komisch!“ Ich hörte wie meine Eltern schnell die Treppen heruntergerannt kamen, um zu sehen was los war, weil ich wie am Spieß schrie.
Sie stürzten zu meiner Schwester ans Bett. Mein Vater riss Evi heraus, hob sie an den Beinchen hoch, den Kopf nach unten und schlug ihr tüchtig auf den Po. Sie weinte zuerst gar nicht, aber plötzlich hörte ich sie aufschreien. Ich war sehr erschrocken, als ich sie so plötzlich schreien hörte. So kannte ich meinen Vater gar nicht. Er war doch immer so lieb zu uns und jetzt musste ich miterleben, wie er meine kleine süße Schwester schlug. Aber komischerweise, in dem Moment als Evi schrie, nahm mein Vater sie ganz zärtlich in seine Arme und weinte bitterlich. Meine Mutter weinte auch. Sie umarmte beide und ich stand da und verstand alles nicht so recht.
Warum schimpfte sie nicht mit Papa, weil er Evi so sehr geschlagen hatte, dachte ich verstört. Statt dessen küsste sie ihn und sagte, er hätte Evi das Leben gerettet.

Als Evi wieder friedlich in ihrem Bettchen schlief, merkten meine Eltern erst wie durcheinander ich war. Dann endlich erfuhr ich, was sich zugetragen hatte. Evi hatte sich mit ihrem Speichel verschluckt und durch das Klopfen auf ihren Po hatte sich die Verschleimung gelöst. Danach atmete sie wieder ganz normal. Ich war sehr froh und erleichtert, als ich dies von meinen Eltern hörte.
Voller Ehrfurcht sah ich zu meinem Vater auf und war sehr stolz auf ihn. Er war so klug, sonst hätte er meine Schwester nie retten können, dachte ich. Ich liebte ihn sehr und sagte es ihm auch. Er hob mich mit seinen kräftigen Armen hoch, drückte und küsste mich und ich war das glücklichste Kind auf der ganzen Welt. Ich mochte es sehr gern, wenn mein Vater mich so fest an sich drückte. Er sagte zu mir, ich sei sein Ein und Alles!
Meine Mutter hatte jetzt Evi und ich war Papas Liebling. Für mich tat er alles. Er liebte meine Mutter und Evi auch, aber ich hatte immer das Gefühl, ich sei sein Liebstes.

Mein Vater war ein großer, schlanker, schöner Mann mit braunen, gütigen Augen. Er hatte ein Grübchen am Kinn und blauschwarze, krause Haare. Für mich war er der schönste Mann auf der ganzen Welt. Ich hatte ihn so unendlich lieb.
Ich hatte das blauschwarze Haar von meinem Vater geerbt, aber von meiner Mutter die wunderschönen graugrünen Augen und ihr bezauberndes Lächeln, dass mein Vater so sehr an meiner Mutter liebte. Also glaubte ich felsenfest, musste er mich auch so lieben wie meine Mutti.
Als wir uns wieder beruhigt hatten, hörte ich, wie meine Mutter leise zu meinem Vater sagte: „Das war die Spillahulla. Sie war vor einigen Tagen an unserer Tür.“
Mein Vater flüsterte: „Du spinnst ja.“ Aber ich sah, dass er meine Mutter ganz erschrocken anschaute, als er dies zu ihr sagte.
Was hatte das zu bedeuten? Verstehen konnte ich das zwar nicht, aber als ich meine Mutter darauf ansprach, wer denn die Spillahulla sei, schimpfte mein Vater mit meiner Mutter und meinte zu ihr: „Das hast du jetzt davon.“
Meine Mutter war danach ganz ruhig und sprach auch nicht mehr darüber, so oft ich sie auch darauf ansprach. Es ging mir lange nicht aus dem Kopf. Alles war sehr geheimnisvoll, zumal beide miteinander geflüstert und sich ganz erschrocken angeschaut hatten.

Einige Tage später läutete es an der Wohnungstür. Als meine Mutter öffnete, stand eine Frau davor, die nicht gerade vertrauenserweckend aussah. Meine Mutter war bei ihrem Anblick sehr erschrocken und schlug die Tür schnell wieder zu, ohne mit der Frau gesprochen zu haben.
Ich vergaß danach schnell diesen Vorfall, zumal meine Mutter nicht mit mir darüber redete. Am Abend, als mein Vater nach der Arbeit nach Hause kam und zu Abend gegessen hatte, legte er sich immer im Kinderzimmer auf eine Liege, um sich auszuruhen. Als ich mit meiner Puppe spielte, hörte ich, wie meine Mutter meinem Vater zuflüsterte: „Paul, sie war wieder da.“ Obwohl meine Mutter keinen Namen genannt hatte, wusste ich sofort, von wem sie sprach. Mein Vater sah meine Mutter ganz erschrocken an. „Du hast sie doch wohl nicht an das Kind gelassen“, sagte er. Er meinte wohl Evi damit, dachte ich, als ich das hörte. „Nein“, sagte meine Mutter ganz stolz zu ihm, „ich habe ihr gleich die Tür vor der Nase zugeknallt.“
„Das hast du gut gemacht“, murmelte mein Vater und schlief auf der Liege ein. Er war sehr müde.
Als er ausgeschlafen hatte, krabbelte ich zu ihm auf die Liege. Er nahm mich in seine Arme und ich lag ganz still bei ihm und war glücklich und zufrieden. Meine Mutter, die auch im Kinderzimmer war und die Wäsche bügelte, lächelte uns zu, als sie uns so eng aneinander geschmiegt auf der Liege kuscheln sah. Mein Vater lächelte zurück und sagte zu Mutti: „Du brauchst keine Angst mehr zu haben, sie wird nicht mehr wiederkommen.“ Ich wusste gleich, von wem er sprach. Mutti fragte: „Woher weißt du das so genau?“ Mein Vater, der immer noch auf der Liege lag, er hatte jetzt die Arme hinter seinem Kopf verschränkt, sagte: „Als ich gerade schlief, spürte ich eine Last auf meiner Brust. Ich öffnete meine Augen einen Spalt und sah sie auf meiner Brust sitzen. Ich drückte meinen Ellenbogen so stark gegeneinander wie ich nur konnte und habe sie zerdrückt.“ Mein Vater demonstrierte meiner Mutter, indem er die Ellenbogen fest zusammendrückte, wie er es gemacht hatte. Er schaute meine Mutter dabei ganz liebevoll an, als er das sagte, und lachte.
Er lachte, weil die Spillahulla jetzt tot war und wir uns keine Sorgen mehr machen mussten. Meine Mutter lächelte zurück und ich drückte meine Goldmarie ganz fest an meine Brust.

Sie ist tatsächlich nie wieder zu uns gekommen.

 

 

 

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